Sternstunde im Friesenheimer Rathaussaal.
Von Walter Holtfoth, Text & Bilder
Bewegend, beeindruckend und bedrückend zugleich waren die neunzig Minuten einer ganz besonderen Feierstunde im Friesenheimer Rathaus.
Kooperation Förderverein ehemalige Synagoge Kippenheim
Geladen hatte die Leitung der Realschule und Werkrealschule, um der Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages beizuwohnen. „Diese Art von Verträgen sind keine Seltenheit für uns,“ Angelika Philipzen erklärte, dass solche Themen in der Regel formell in ihrem Schulleiter Büro abgewickelt würden. Nicht so am Mittwoch.
Es sind unruhige Zeiten - die Welt steht Kopf
Im Rathaussaal trafen sich Persönlichkeiten des Öffentlichen Lebens, Vertreter der Politischen Gemeinde ebenso, wie viele Schülerinnen und Schüler des Friesenheimer Bildungszentrums. Anlass war die Kooperation der Realschule und Werkrealschule mit dem Förderverein Ehemalige Synagoge Kippenheim, die feierlich besiegelt wurde. Angelika Philipzen ging in ihrer Begrüßung auf aktuellste Geschehnisse ein. „ Es sind unruhige Zeiten, die Welt steht Kopf, Krieg in der Ukraine, Krieg in Israel, der Terror der Hamas, überall Gewalt und Zerstörung unter der auch die Zivilbevölkerung im Gaza Streifen leidet.“ Antisemitismus, Rassismus und Populismus mache sich in unserem Land in erschreckendem Ausmaß breit.
Charlotte Schubnell - historische Feierstunde
Philipzen zog die Generation der eigenen Großeltern heran die in Deutschland und Europa jüdisches Leben ausrotten wollte. Die Verantwortung unserer Geschichte bedeute, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland frei und sicher leben können. Sie sollten nie wieder Angst haben und um ihr Leben fürchten müssen. Die Realschule und Werkrealschule Friesenheim ist zertifiziert als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ Eine Haltung zu der sich alle an der Schule verpflichtet fühlen – gegen jede Form von Ausgrenzung und Gewalt. „Wir als Schule haben die Aufgabe, unseren Schülerinnen und Schülern Orientierung zu geben, ihnen zu helfen Toleranz und Wertschätzung erlebbar zu machen.“ Hierbei sei die Kooperation mit dem Förderverein der ehemaligen Synagoge eine wertvolle Hilfe. Diese wurde auf Initiative von Martin Buttenmüller ins Leben gerufen.
Martin Buttenmüller, seine Beziehungen, seine Initiative
In Vertretung von Bürgermeister Erik Weide begrüßte seine Stellvertreterin Charlotte Schubnell die anwesenden Gäste. Sie bezeichnete die Feierstunde als wirklich historisch. Voller Überzeugung unterstütze die Verwaltung diesen Kooperationsvertrag. Schubnell wörtlich: „Wir alle tragen eine Verantwortung gegen das Vergessen, hierbei wurde heute ein großer Schritt unternommen.“ Von Seiten des Fördervereines bedankte sich Jürgen Stude als erster Vorsitzender des Kippenheimer Fördervereines für das Engagement der Friesenheimer Schule.
Auch in Friesenheim gab es ein jüdisches Leben in Harmonie und guter Nachbarschaft
Er streifte das jüdische Leben auch in Friesenheim, das wie in Kippenheim oder Lahr in der Kristallnacht vom 09. – auf den 10. November 1938 jäh endete.
Während der ganzen Zeremonie war an der großen Projektionswand der Ehrengast der Feierlichkeiten Live aus New York zugeschaltet. Inge Auerbacher, 1935 in Kippenheim geboren, wurde vom Schulchor mit ihrem vertonten Gedicht „A World Of Peace“ musikalisch empfangen.
Inge Auerbacher ist sichtlich gerührt und gefasst zugleich. Sie spricht mit Entsetzen über das, was gerade in Israel geschieht, und schildert anhand ihrer Wohnsituation in New York, wie friedlich alle Religionen zusammenleben könnten. Im Reihenhaus links Moslems, rechts Hindus, ein Stück weiter Christen. „Oft feiern wir zusammen unsere Feste –
Wir brauchen keine Kriege, fertig.“
Dieses „Fertig“ wiederholt sie in Ihrer Erzählung oft ganz so als ob sie alles Übel dieser Welt auslöschen möchte. Das Übel beginnt für sie im Alter von drei Jahren. Bewegend erzählt Sie ihre Geschichte, die in Kippenheim begann. Sie spricht von einer aktiven jüdischen Gemeinde, Menschen, die über hunderte von Jahren harmonisch zusammenlebten, bis in jener Nacht der Progrome. Sie schildert wie Nazi Schergen und ein aufgehetzter Mopp in der Nacht an Fenster und Türen poltert und sich die Familie im Hinterhaus verstecken muss. Die Synagoge in Kippenheim wird in dieser Nacht nicht angezündet, weil sie zu nah an benachbarten Häusern gebaut ist, kurz und klein geschlagen wird dennoch alles. Inge Auerbacher spricht leise und bestimmt zu gleich von den Geschehnissen damals, der Flucht der Familie ins schwäbische Göppingen.
Sie betont sie habe keinen Hass auf das, was alles geschehen ist. „Es gibt auch gute Menschen damals,“ Inge Auerbach erzählt die Geschichte einer Begegnung in der Eisenbahn, die sie in keiner Rede auslässt. Die gerade sechsjährige muss mit dem Zug von Göppingen nach Stuttgart in die einzig noch aktive jüdische Schule fahren, am Mantel den Judenstern, von der Mutter empfohlen, immer in Richtung Wand zu setzen, damit dieser nicht zu sehen sei. Eine Mitreisende Frau lässt beim Aussteigen ein Vesperpacket auf ihrer Sitzbank liegen. „Ich werde diese Frau nie vergessen.“ Inge Auerbacher erzählt leise wie sie die Hölle von Theresienstadt überlebt, spricht von Krankheit und Tod, und wie sie letztendlich von der roten Armee befreit wird. Von 26 deportierten Familienmitgliedern sind sie und zwei weitere übrig geblieben. Inge Auerbacher schildert den Neuanfang in den USA und ihr Leben bis heute.
Zeitzeugen als Hologramm weiter zu sehen
Sie ist als Zeitzeugin gefragt, hat Bücher in acht Sprachen veröffentlicht, spricht im Deutschen Bundestag und ist eine der letzten lebenden Stimmen gegen das Vergessen. In Frankfurt wird derzeit ein Hologramm von ihr erstellt, damit ihre Worte weiterhin gehört werden können.
„Wir wollen keinen Krieg mehr auf dieser Welt- fertig.
Wir sind alles nur Menschen, jeder soll leben und beten, wie er will. Shalom“
=========================================================================================================
Der Vertrag:
Der Kooperationsvertrag zwischen der Real- und Werkrealschule Friesenheim und dem Förderverein Ehemalige Synagoge Kippenheim e.v. sieht unter anderem vor, die historisch politische Bildung am außerschulischen Lernort zu fördern. Ebenso soll die Zusammenarbeit die Demokratiebildung stärken
Die Schüler und Schülerinnen erwerben Kenntnisse zum Ortenauer Judentum mit Schwerpunkt auf der Epoche des Nationalsozialismus, sie entdecken die Jüdische Gemeinde Kippenheim.
Es werden regelmäßig Tagesexkursionen stattfinden, diese werden auch Führungen zu Spuren jüdischem Lebens in Kippenheim beinhalten.